Ein Podcast-Interview mit Christian Mikunda hat mich kürzlich wieder an die sieben Todsünden erinnert, denen die sieben Hochgefühle gegenüber stehen. Wir alle haben gute und schlechte Eigenschaften. Nicht jede üble wird dabei zur Todsünde, aber jedes Persönlichkeitsmerkmal hat immer zwei Seiten.
Todsünden | Hochgefühle | man sagt | Beispiele |
1. Hochmut | Glory | ich bin | Kim Kardashian |
2. Völlerei | Joy | ich brauche | Reiner Calmund |
3. Gier | Desire | ich muss haben | Dani Katzenberger |
4. Wollust | Intensity | ich liebe | Jochen Schweitzer |
5. Neid | Bravour | ich kann | Robin Hood |
6. Zorn | Power | ich mache | Dieter Bohlen |
7. Trägheit | Chill | ich sollte | Hermes Phettberg |
1. Hochmut kommt vor dem Fall
Wer beispielsweise das Erhabene (Glory) übertreibt und sich selbst auf einen Sockel stellt, der wirkt hochmütig. Zwischen gutem social unrestund schlechter Selbstdarstellung liegt oft nur ein schmaler Grat. Kim Kardashian und ihr Tross sind wohlgeformte Beispiele dafür. Ihre jüngere Stiefschwester Kylie Jenner erntete regelrecht einen Shitstorm, weil sie sich vor ihrem gesamten Autofuhrpark auf Instagram postete und der ist bekanntlich nicht klein. Bei den Geissens-Töchtern hagelte es ebenfalls aus ähnlichen Gründen Kritik. Mit übertriebenem Narzissmus dieser Art macht man sich auch als junge Selfmade Milliardärin wenig Freunde.
Bewerber, die schon beim Platz für das Praktikum signalisieren, dass sie sich dafür eigentlich zu gut sind und für Höheres berufen fühlen, überzeugen nicht. Wenn sie andere, dann auch noch von oben herab behandeln, dann werden sie bald spüren, warum falscher Stolz einsam macht. An “Ich-ling-Sätzen” kann man arrogante Menschen erkennen. Sie reden gerne gut über sich und noch lieber schlecht über andere. Ständig bieten sie ihrer Umwelt Gebrauchsanweisungen an, wie man mit ihnen umzugehen hat: “Nein, mich bekommst Du morgens nicht ohne Kaffee aus dem Bett …“, “ich bin jemand, der …“, “… ohne arrogant wirken zu wollen, weiß ich von mir …“, “Ich möchte mich nicht mit denen vergleichen, aber ich bin halt schon besser in …“.
Mich wundert, dass Rache nicht auch zu den Todsünden im Katechismus der katholischen Kirche gezählt wurde, denn genau dieses süße Gefühl schüren Hochmütige bei anderen. Niemand klatscht schließlich Beifall, wenn Arroganzler langfristig mit ihrer überheblichen Masche durchkommen.
2. Völlerei: sich der Entsagung enthalten
Solange Joy regiert und nicht die Völlerei ist alles in Ordnung. Unappetitliche Reality-Dokus, wie “Mein Leben mit 300kg” zeigen uns die kranke Hälfte der Medaille. Reiner Calmund zum Beispiel trat einst mit seinem Buch „Eine Kalorie kommt selten allein“ die Flucht nach vorne an und erklärte, wie Essen bei ihm zur Völlerei wurde.
Seit den 1980er Jahren sterben weltweit laut Experten mehr Menschen an den Folgen von zu viel Nahrung als an Hunger. Adipositas ist häufig das Tor zur Epidemie der 21. Jahrhunderts: Diabetes.
Was beim Essverhalten die Völlerei, das sind in der Kommunikation die Vielredner. In meinem Buch “Rede-Diät” habe ich bereits schon 2004 darauf hingewiesen, dass Sprache und Ernährung vieles gemeinsam haben: Die Menschen reden zu viel, zu fett und zu wahllos. Dabei scheinen manche zu vergessen, dass Redezeit auch Lebenszeit bedeutet. Noch immer dauern unsere Meetings zu lange – gemessen am Output. Bei Cocktails und Empfängen habe ich schon Dampfplauderer kennengelernt, die grundsätzlich bescheidene Menschen waren, aber mit Worten haben sie gerne geprasst. Manche reden aus Unsicherheit mehr, als für sie und ihre Umgebung gut ist. Langweilige Schwafler darfst du ruhig unterbrechen und mit investigativen Fragen das Gesprächsthema steuern. Du selbst solltest jedoch auch deinen eigenen Sprachspeck kontrollieren.
Ab in den Papierkorb:
- Relativierende Füllwörter (eigentlich, definitiv, irgendwie, ein bisschen, …),
- inflationäre Phrasen (“am Ende des Tages”, “sag ich einmal”, …),
- inhaltliche Redundanzen (“… und ich sage noch einmal …“) und
- welke Analogien (“Wir müssen die PS auf die Straße bringen.”).
3. Gier wird zur Glücksbremse
Wünsche und Ziele haben wir alle. Von einem der erfolgreichsten Jockeys aller Zeiten, Willie Shoemaker, stammt das Credo: “Desire is the most important fact in the success of any athelete.”
Wer jedoch Wünsche zur Gier werden lässt, der macht sich und andere unglücklich. 50 Billionen Euro – das ist der Wert aller Waren, die Menschen weltweit pro Jahr kaufen und verkaufen. Wenn man bedenkt, was dem gegenüber im Buddhismus als Gift bezeichnet wird, dann sind wir schnell bei Gier, Hass und Verblendung. – Alles Probleme unserer Zeit auch im Westen. Hinter Gier steckt laut der fernöstlichen Überzeugung: Unsicherheit. Menschen häufen Besitz an und kompensieren die innere Leere mit “Objekten im Außen”. Ständig wollen sie etwas anschaffen oder wenigstens davon reden. “Ich will unbedingt zu dieser Location…” “Ich muss diese neue Tasche haben.” “Wir müssen als nächstes nach Mauritius fliegen.”
Leuchtendes Beispiel für diese Rubrik ist die Kultblondine Daniela Katzenberger, die mit folgenden Aussprüchen Furore machte: „In meinem Körper steckt mehr Geld als auf meinem Bankkonto.“ Oder: “Ich hab’ ein Dirndl anprobiert, das sollte 2500 Euro kosten. Unglaublich, da krieg ich ja eine Brust für!”
Menschen, die so stark im “Haben” leben, sind Getriebene ihrer eigenen Gier und spüren nicht, dass jeder neue Kassenbon sie noch weiter von sich selbst entfernt.
4. Sind Wollust und Leidenschaft stärker als die Moral, dann schwächelt der Charakter
Wollust und Erotik sind körperliche Empfindungen und heute ein Milliardengeschäft. Plattformkapitalismus von Tinder über Seitensprung-Portale bis hin zur arrangierten Geilheit – vieles findet sich digital und trifft einander analog.
Sinnlichkeit gibt es auch bei Verbalerotikern. Sie spielen mit Stimmungen und verführen andere. Gerne wird dabei manipuliert. Manchem Verkäufer geht es gar nicht um den Geschäftsabschluss alleine, als vielmehr darum, Macht über den anderen auszuüben.
Wie vielen Kunden wurden beim Erwerb einer mittelmäßigen Wohnung auf diese Art die Sinne vernebelt, dass sie ihren Kauf sogar für ein Schnäppchen hielten. Die Kunst der Verführung funktioniert in Wort und Tat.
Für die einen war der Gründer des Magazins “Playboy”, Hugh Hefner, 1953 ein Sugar Daddy und Förderer junger Mädchen. Für die anderen war er ein von Wollust getriebener Mädchenhändler, der viele Kindfrauen im eigenen Schlafzimmer “getestet” hat. Das hat er nicht telepathisch erreicht; Wollust und Worte hängen demnach eng zusammen und können jeden zur Ware reduzieren. Wenn Menschen zu Objekten verkommen, dann klingen Komplimente selbstsüchtig und wenig schmeichelhaft: “Ich liebe es meine Zeit mit Dir zu verbringen. Deine Jugend gibt mir das Gefühl wieder lebendig zu sein.” Manchmal sind an Manipulationen sogar emotionale Erpressungen geknüpft: “Wenn Du mich wirklich liebst, dann …“
Das Hochgefühl “Intensity” ist nicht weniger ertragreich, als die Todsünde “Wollust”. Jochen Schweizer beispielsweise hat auf dieser Emotion sogar ein 108 Millionen Euro schweres Geschäft aufgebaut. Mittlerweile hat er sein Unternehmen, das mit Erlebnis-Gutscheinen handelte, an Mydays und damit an ProSiebenSat.1 verkauft.
5. Neid – die grüne Kröte der Kommunikation
Schon in der Antike versuchte man durch Opfergaben, Neid und Zorn der Götter abzuwenden. Die gesamte Weltliteratur ist voll von Gier, Eifer- und Habsucht.
Laut führenden Entwicklungspsychologen entsteht Neid in uns erst ab dem Alter von zwei Jahren, wenn wir ein Ich-Bewusstsein etabliert haben. Diese üble Charaktereigenschaft verbreitet sich dann wie ein Virus, was sich am Begriff „Neidgesellschaft“ ablesen lässt. Kulturelle Unterschiede sind erkennbar: Wer es dank seiner Arbeit und Anstrengungen in Amerika zu etwas bringt, wird herzlicher und begeisterter angefeuert als im deutschen Sprachraum. Bei uns versteckt man seinen Besitz lieber und fällt am besten so wenig wie möglich auf. Wer sich dennoch exponiert, der muss mit gesellschaftlichem Mobbing zurechtkommen – und das beginnt häufig in der eigenen Familie.
Ganz anders scheint es beim Neid der Besitzlosen zu sein. Soziale Verlierer fühlen sich moralisch sogar im Recht, etwas gegen „die da oben“ zu unternehmen. Managern ihre Gehälter, Boni und Remunerationen zu missgönnen, ist öffentlich akzeptiert – hier wirkt das „Robin-Hood-Syndrom“ und damit Bravour. Man empfindet es als ungerecht, dass „Menschen, die Stroh im Kopf haben, auch noch Geld wie Heu besitzen“.
Spätestens seit der industriellen Revolution sind wir zu höchst kompetitiven Wesen geworden. Hat der Nachbar das größere Haus, die Kollegin ein volleres Konto, erfolgreichere Kinder oder ein leichteres Schicksal? Wir sind neidisch, weil wir annehmen, dass andere aus ihren Vorteilen eine Befriedigung ziehen, die uns selbst verwehrt bleibt. Missgunst empfinden wir zudem immer stärker den Menschen gegenüber, die uns ähnlich scheinen. Klassentreffen sind ein guter Nährboden für solche Vergleichskämpfe. Niemand käme auf die Idee, neidisch auf die Strahlkraft, Bekanntheit oder Gelassenheit des Dalai-Lamas zu sein. Er existiert nicht in unserem Erlebnishorizont. Der verhasste Kollege aus der Nachbarabteilung hingegen schon.
Warum ist Neid für die Kommunikation so relevant? Viele Killerphrasen und bissige Argumente werden vorgeschützt, warum jemand seinen Erfolg nicht verdient hat. „Bei ihren Beziehungen ist es leicht Karriere zu machen.“ Wer in seiner Außenwirkung sichtbar positiv bilanziert, wird schnell als oberflächlich oder skrupellos abgestempelt. Wie sonst ließe sich die beneidenswert privilegierte Situation rechtfertigen? Bei dem reichen Elternhaus? Der Eliteschule? Alles kein Wunder.
Irrtum! Der mutmaßliche Geburtsvorteil mancher Promikinder hat sich oft als Nachteil entpuppt. Der Fortpflanz von beispielsweise Elvis Presley oder Michael Douglas zu sein hat nicht wirklich geholfen, um Karriere zu machen.
Druck gibt es nicht nur für sozial Schwächere und Neider nicht nur unter Armen. Während er über das Glück der anderen trauert, wird der Neidhammel selbst selten glücklich.
6. Zorn macht Schwache stark
Wut, Raserei und Hass sind häufig Zeichen mangelnder Liebe. Es ist schwierig fehlende Liebe nachträglich zu kompensieren. Die Negativspirale zieht Menschen schnell nach unten und bei der kleinsten Gelegenheit werden sie dann zornig. Mit Worten verletzt ein Choleriker als erstes. Er wird untergriffig, laut, persönlich und schäumt vor Wut: “Während ich hier für alle arbeite, stehen Sie nur dumm in der Gegend herum.” oder “Ich bin offenbar der einzige, der hier etwas leistet. Wie kann man nur so bocklos sein, ihr blökenden Hammeln?”
Einer, der mit seinen zynischen Aussprüchen einst Fernsehgeschichte geschrieben hat, ist Dieter Bohlen. Ein wahrer Machertyp, dem die Power selbst wenige Jahre vor dem 70. Geburtstag noch nicht ausging. Laut Medienberichten wurde sein Vermögen auf 135 Millionen Euro geschätzt und dabei ist er bis zu seinem Ausstieg bei der RTL-Castingshow DSDS jährlich um 10 Millionen reicher.
„Deine Stimme klingt ätzend! Ätzend für ’nen Kloreiniger ist geil, ätzend für ’ne Stimme ist scheiße.“ Verbalinjurien dieser Art pflasterten seinen Weg. Zu Beginn der TV-Jurorentätigkeit wurde er in der Presse noch zerfetzt. Vor seinem Ausstieg erhielt er böse Meldungen, wenn er zu wenig brüskierte. Obgleich er den Sager anders gemeint hat, gilt er wohl auch für ihn: „Da ist die Frage: Wo hört der Gesang auf und wo fängt die Straftat an?“ Bohlen hat seine ungeschliffene Schnauze 2002 mit DSDS als TV-Juror zum Kult erhoben und trieb alleine mit seinen Sprüchen bis 2021 die Einschaltquoten im Durchschnitt auf beachtliche 3.780.000 Zuschauer hoch.
7. Trägheit entehrt uns
Rein physikalisch betrachtet wird das Trägheitsgesetz, das von Isaac Newton 1687 entdeckt wurde, so definiert: “Ein Körper bleibt in Ruhe oder in gleichförmiger geradliniger Bewegung, solange die Summe der auf ihn wirkenden Kräfte null ist.” Wenn jemand also nicht motivierbar (lat. movere = bewegen) ist und antriebslos vor sich hin vegetiert, dann sind Prokrastination und Sinnleere die logische Folge.
Chronische Unterforderung kann sogar krank machen. Lieber verwenden die von Faulheit Geplagten den Konjunktiv, da sie “nur in Aussicht” stellen “irgendwann mal“ mehr zu arbeiten, es aber gar nicht konkret vorhaben: “Ich sollte demnächst einmal aufräumen” oder “man könnte sich dort informieren” klingt noch nicht nach dem großen Plan. Trägheit kann man sich angewöhnen und sie wird leider auch hörbar: Mundfaulheit, wenig in die Tiefe ventilierte Gedanken und platte Stehsätze zeugen von gedanklicher Negligenz.
Selten gibt es blitzgescheite Menschen, die von der Trägheit gezeichnet sind. Wahrscheinlich galt einst deshalb im österreichischen Privatfernsehen Hermes Phettberg, schräger Talk-Master, als bizarre Entdeckung. Seine eigenen Worte bringen seinen Zustand wohl am besten auf den Punkt: “Mein Dasein ist absichtslos. Ich schlitterte ins Leben und fand mich vor. Mein Körper hat sich lange unnütz gefühlt, niemand begehrte ihn. Da haben wir aufgehört, uns zu waschen.”
Die positive Seite ist Gleichmut oder Chill. Natürlich hat es auch Vorteile, wenn man sich nicht von allem sofort auf die Palme bringen lässt. Viele Menschen verwechseln Phlegma jedoch mit Souveränität oder Resilienz und genau dann wird es gefährlich.
Eine Führungskraft beispielsweise, die lieber dem Mitarbeiter zuhört, der “runterkocht”, wovor alle im Team warnen: “Geh bitte, das ist kein Problem Chef. Da haben wir wirklich schon schwierigere Fälle gelöst. Das wird sich schon ausgehen.” Nein, wird es nicht! Warum? “Chiller” können Distanzen und lauernde Gefahren selten gut einschätzen, weil sie recht energielos und gleichgültig an “wird schon alles gut gehen” glauben.
Nihilist, Naturwissenschaftler, Gläubiger, Denker oder Moralist ist, die sieben Todsünden standen einst für negative Archetypen. Viele literarische Urbilder spielen mit ihnen: “Schneewittchen” beispielsweise wurde aus Neid und Eifersucht ihrer bösen Stiefmutter fast um die Ecke gebracht. “Die Leiden des jungen Werthers” waren süß und ebenso von Wollust geleitet, wie die pornografischen Werke von Marquis de Sade. Thomas Mann hat 1901 in seinen “Buddenbrooks” Gier, Hochmut und Geltungsbedürfnis ebenso beschrieben, wie 1307 Dante Alighieri in der “Göttlichen Komödie”. Ein Loblied auf den Müßiggang findet sich sowohl bei Georg Büchner (“Leonce und Lena”), aber auch bei Friedrich Schlegel (“Lucinde”).
Im 21. Jahrhundert könnte man das Gefühl bekommen, dass die sündigen Themen mittlerweile zu Tugenden geworden sind.
Wahrscheinlich hat deshalb Mahatma Gandhi die sieben Todsünden der modernen Welt für seinen Enkelsohn Mohandas 1947 neu definiert:
- Reichtum ohne Arbeit
- Genuss ohne Gewissen
- Wissen ohne Charakter
- Geschäft ohne Moral
- Wissenschaft ohne Menschlichkeit
- Religion ohne Opferbereitschaft
- Politik ohne Prinzipien
Fazit: Moral bleibt offenbar eine Frage der Balance zwischen den Extremen.