Der lieb gemeinte Imperativ
Aggressive Freundlichkeit ist immer ungut. Besonders, wenn sie in der Befehlsform daherkommt. Beispiel: Jemand feiert Geburtstag und der Kanon der Glückwünsche reicht von:
„Ich wünsch’ Dir was!“ (Ja? Und was denn genau?) bis hin zu „Feiere schön!“ (Wie „schön“? Egal, Dich interessiert doch ohnehin nicht, wie ich feiere. Viel wichtiger – als mir am Geburtstag etwas Nebuloses anzuschaffen – wäre, dass Du mir gratulierst, nicht?)
Zu beobachten ist der lieb gemeinte Imperativ mittlerweile auch bei Moderatoren und -innen. Das obligate „Bleiben Sie dran!“ kann man vor dem Hintergrund der Werbepause ja noch verstehen – Schließlich will niemand seine Zuseher verlieren. Aber Abmoderationen, wie: „Haben Sie es fein!“ wirken irgendwie dümmlich und anmaßend. Niemand lässt sich gerne etwas anschaffen. Wenn der Chef eine Arbeitsanweisung ausgibt, dann ist die auszuführen. Schon klar. Aber süßliche Pseudo-Befehle vor dem Urlaub samt Beteuerungs-Nachdruck sind übel: „Lassen Sie es sich gut gehen! Aber wirklich!“ (Was soll man darauf sagen? „Okay, das mache ich, Du dumme Nuss. Und zwar sicher!)
Viele der Smalltalk-Stehsätze in unserem Miteinander sind zwar nett gemeint, aber übergriffig formuliert. Eine Verkäuferin hat mir kürzlich beinahe Angst gemacht. Sie begrüßte mich resolut mit den Worten: „So, Sie trinken zuerst einmal ein Glas Sekt und dann lassen Sie sich verwöhnen.“ Zum einen war ich gerade mal wieder auf Diät und Alkohol war nicht auf der Liste der erlaubten Lebensmittel und zum anderen wollte ich mich nur umsehen, da ich kurz darauf verabredet war. Die Drohung mit der „Verwöhnung“ beim Herbstjacke shoppen hat mich zwar neugierig gemacht, aber auch sanft verschreckt.
Nachdem wir schon zu Ostern in den Kaufhäusern Weihnachten haben und Glückwünsche immer anstehen, ist sprachliche Sensibilität ganzjährig gefragt. Egal, ob Geburtstag, Ostern, Muttertag oder andere Jubiläen. – Hinter vielen Botschaften versteckt sich ein Imperativ ohne persönlicher Anteilnahme. Beispiel: „Habt einen erholsamen Urlaub!“, „Genieße das schöne Wetter und tue endlich mal was für Dich!“ oder eben „Feiert schön am Heiligen Abend!“ – da erklingen gleich mehrere Glöckchen:
A) was ist, wenn ich niemanden hab, um Weihnachten gemeinsam zu verbringen? Schließlich werden Single-Haushalte und Scheidungspaare jährlich mehr.
B) Der Imperativ aus dem Eltern-Ich mimt Verantwortungsgefühl. Dem Sender ist es offenbar wichtig, dass es mir gut geht. – Imperative Beauftragung dieser Art kennt man jedoch sonst nur von seiner Oma und sie wirkt deshalb übergriffig.
C) Falls ich oder wir keine harmonischen Feiertage hatten, stellt mich der Satz als Looser hin, denn der Auftrag war klar ein anderer.
D) In der Formulierung „Feiert schön“ wird zudem deutlich, dass der Sender nicht vorhat, Teil meines Festes zu werden – selbst, wenn ich ganz allein wäre – Gestaltung wird also nicht übernommen.
Wie geht es richtig?
„Ich wünsche Ihnen einen schönen Geburtstag“ klingt eben anders als „Lass Dich ordentlich feiern!“. Im ersten Fall involviert sich der Gesprächspartner mit einem persönlichen Wunsch und tritt damit in Beziehung zum Jubilar. Im zweiten Fall geht man aus dem Kontakt und speist den anderen nur vordergründig wohlwollend mit einem Befehls-Stehsatz ab
Fazit: Neutrale Wünsche schmecken nicht. Lieb gemeinte Imperative wirken im besten Fall betulich, im schlimmsten Fall übergriffig. Lieber überlegen wir uns beim Wünsche übermitteln etwas Persönliches für das Vis-à-Vis:
„Dir und Deiner Kleinen wünsche ich schöne Stunden beim Muschelnsammeln am Strand.“
„Ihnen und Ihrer Frau wünschen wir eine erholsame Sommerfrische im neuen Landhaus.“
„Dem Trubel zu entkommen ist über Weihnachten eine gute Idee. Ich wünsche Euch eindrucksvolle Momente im Süden.“