Ist die Wahrheit bereits Fake News?
Data-Storytelling und das Spiel mit Zahlen
Wir haben in den letzten Monaten unmenschlich viele Tabellen, Statistiken und Diagramme um die Ohren geballert bekommen. Mal waren sie süffig aufbereitet, dann wieder stinkfad. Sobald wir von “Fakten” reden, schleichen sich Zahlen ein. Ich stehe diesen mathematischen Deutungen und Prozentwerten generell kritisch gegenüber, weil sie sich in alle Richtungen biegen lassen. Sie geben vor, etwas “objektiv” zu beurteilen, was sie nicht können. In der Politik gilt das ebenso wie in der Werbung: Wenn ein Produkt zu 92% fettfrei ist, dann isst man mit 8%iger Sicherheit Fett.
Statistisches Framing
Hinter statistischem Framing lassen sich Manipulationen leicht verstecken. Wer eine Studie in Auftrag gibt, hofft auf ein Ergebnis, das sich für seine Zwecke gut verwenden lässt. Aus harten Daten werden dann weiche Fakten und aus einem diffusen Gefühl, Meinungen bei Wählern, Kunden oder Patienten plötzlich entwickelt. Es ist eben nur ein kleiner Sprung vom Bedarf zum Bedürfnis.
Promi-Verschwörer polarisieren
Rund um Covid19 gab es tausende Meinungen und weltweit hunderte Experten, die einander aufs Heftigste widersprachen. Jede These hatte ihre eigenen Anhänger und dazwischen machten sich die Verschwörungstheoretiker breit: Soulsänger Xavier Naidoo beispielsweise erzählte tränenreich auf YouTube von Adrenochrom, Kinderblut und QAnon oder RTL-Moderatorin Sonja Zietlow, die mit schrägen Statements zu Corona verblüffte und einen Shitstorm provozierte. Von Vegankoch und Deutsch-Türke Attila Hildmann, der öffentlich gegen Coronaregeln wetterte oder Rapper Sido, der nicht an das Virus glaubt, bis hin zu Ärzten und Wahrscheinlichkeitsrechnern im TV mit höchst unterschiedlichen Gefahreneinschätzungen, war alles dabei.
Die Analyse fehlt
Wichtiger wäre es, sich jetzt zu überlegen, was wir ins Logbuch unseres Landes für zukünftige Krisen schreiben. Diese Analyse wird zwar leider wieder nicht ohne Zahlen auskommen, aber sie sollte wenigstens Antwort auf folgende Fragen garantieren: Was haben wir als Staat und Gesellschaft aus der Coronakrise gelernt? Welche Maßnahmen – im Falle einer neuerlichen Pandemie – haben sich bewährt? Was würden wir sicher nicht mehr genauso machen? Wo müssen wir dringend nachrüsten und uns verbessern – ich denke an die digitale Fitness von Schulen landesweit. Der Umgang mit unseren Senioren in den Alten- & Pflegeheimen wurde bei der jüngsten Katastrophe zu eben einer solchen.
Diese Themen nicht akkurat behandelt zu haben, wird uns beim nächsten Szenario auf den Kopf fallen. Stattdessen klingelt vielerorts das politische Kleingeld. In dutzenden TV-Formaten & Polit-Talks können wir die wenig verschleierte Strategie der bevorstehenden Wahlkämpfe durchhören.
Wie jemand über Themen und Menschenleben spricht, erzählt Bände und entlarvt seine Gedanken. Denkschulen formen Sprachstile.
Mich interessiert in meiner Arbeit aktuell, welche Argumente die meisten Menschen berühren und warum ausgerechnet diese? Mit Fakten hat das selten etwas zu tun. Immer geht es um Stimmungen. Inhalte sind wichtig, klar. Doch: Die Botschaft muss erst einmal überzeugend erzählt und erfolgreich transportiert werden. Nachdem keine Denkgruppe ihre Mitglieder durch Telepathie gewinnt, sondern zahlende Unterstützer sucht, wäre es spannend zu beleuchten, welche rhetorische Akquisition zum Erfolg führt. Mit bloßem Marketing hat das im Frühstadium wenig zu tun. Die katholische Kirche hat schließlich eines der größten Werbebudgets weltweit und dennoch laufen die Mitglieder in Zweierreihen aus den Kirchentoren raus. Ihr Marketing war ursprünglich gelungen. Die Kampagne kam 2000 Jahre lang gut an und trug – auch nach der Säkularisierung – noch den Slogan „Liebe Deinen Nächsten!“. Das Kreuz als Logo war einprägsam und knackige Sätze aus der Bibel („Du sollst nicht töten.“) bestechend – und zudem leicht merkbar. Wahrscheinlich sind Religionen dennoch wenig repräsentativ, weil sie durch kulturelle Prägungen und Unterdrückung zu ihren Mitgliedern kommen und es sich historisch betrachtet seltener um bewusste Eintritte handelte.
Fangemeinden sind auf allen Themengebieten und in sämtlichen Lebensbereichen zu finden: Warum ist jemand Vegetarier und ein anderer überzeugter Nihilist? Welche Argumente und Konzepte trennen den modernen Kommunisten vom Wirtschaftsliberalen? Welche Überlegungen und Kampagnen punkten bei den Globalisierungsgegnern, wie beispielsweise den Betreibern von Attac? Warum laufen die “Fridays for Future” wieder auf die Straße, obgleich selbst das weltweite “Pausieren des Planeten” für die Klimaziele erstaunlich wenig gebracht hat. Klar, lokal war die Luft besser und in leergefegten Städten kamen vereinzelt Wildtiere zurück. Mallorcas Natur beispielsweise konnte aufatmen ohne Ballermann-Tourismus und im smogfreien Indien wurde erstmals nach 30 Jahren der Blick auf die schneebedeckten Himalaya-Berge wieder möglich; für die dortige Jugend eine Premiere.
Weltbetrachtung und Wirklichkeit
Wir Menschen haben unsere Weltanschauungen und Wirklichkeiten natürlich nicht losgelöst vom zeitlichen Kontext, in den wir eingebettet sind, entwickelt. Wir beeinflussen einander in unserem Sein. Von den vielen Begegnungen mit interessanten und gut ausgebildeten Menschen in meinem Leben, ist mir eine besonders in Erinnerung: Er war ein kleiner, unglaublich drahtiger Mann mit blau leuchtenden Augen, schnellen Bewegungen und spitzbübischem Grinsen. Es war für mich bereichernd, in den frühen 1990ern einige Stunden alleine mit dem Kybernetiker und Philosophen Heinz von Foerster[1] zu reden. Ich zeichnete damals verantwortlich für die Betreuung hochkarätiger Speaker. In seinem Fall hat mir meine Arbeit besonders viel Spaß gemacht. Er war davon überzeugt: „Wir machen uns völlig falsche Hoffnungen in Bezug auf die Wahrheit. Sie ist die Erfindung eines Lügners.“ Sein Beispiel war einleuchtend: „Nimm diesen Apfel beispielsweise, Tatjana. Für Dich ist er rot. Für mich ist er gemessen an den Äpfeln zuhause in Pescadero ziemlich grün. Ein Vogel nimmt seine Farbe ultraviolett wahr. Unsere Sinneseindrücke beeinflussen die Realität, wie wir sie erleben. Das hat mit Wahrheit per se gar nichts zu tun. Jeder konstruiert seine subjektive Wahrheit und betrachtet die Welt mit einem Objektivitätsanspruch.“ Seine Einführung in den radikalen Konstruktivismus erschien mir einleuchtend und nachvollziehbar. Der philosophische Physiker war übrigens prominent verwandt: mit Bruder Uzzi Förster, Multitalent und Jazzmusiker, sein Großvater war Emil von Förster, der renommierte Architekt. Ihm verdankt Wien sehr viele historische Gebäude, wie etwa das Dorotheeum in meiner Gasse. Zu seiner Verwandtschaft zählte aber auch der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal und sein Nennonkel, der Philosoph Ludwig von Wittgenstein. Vielleicht war Heinz von Foerster deshalb über 90 Jahre lang zum Denken geboren.
Fake News und die Wahrheit
Viele öffentliche Medien zerstäuben durch die jeweiligen politischen Kräfte in einem Land bevorzugt die Botschaft der Regierung. Meine Aufgabe ist es, die sprachliche Dramaturgie benennen zu können und aufzudecken, welche Bilder und Argumente als Trümpfe eingesetzt werden. Wodurch sind Denk-Lables unterscheidbar? Wann gilt etwas als Verschwörung und wann als Fake News? In jeder zweiten Pressekonferenz im Weißen Haus erleben wir, dass unliebsame Fragen sofort als Fake News abgedreht werden. Wie sollen die Medien ihre Kontrollfunktion ausüben? Ist Werbung nicht auch Fake News, denn wir erfahren vorsätzlich hübsch aufbereitete Unwahrheiten?
Fazit: In Zukunft sollen auf Plattformen Fake-News Posts gelöscht werden. Woran lassen sich Manipulationen erkennen? Diese Frage beschäftigt mich seit Jahren bei modernen Wirtschaftstheorien ebenso, wie in der Covid19 Krise und bei Future Trends. Statistisches Framing und das Spiel mit Worten und Zahlen ist nicht immer leicht zu durchschauen. Wer bestimmt zudem was “die Wahrheit” ist? Hat Heinz von Foerster recht – ist derjenige dann ein Lügner?
[1] Heinz von Foerster (1911 – 2002) österreichischer Biophysiker, Philosoph und Konstruktivist. Er prägte den Begriff des „ethischen Imperativs“.