Killerphrasen und gesellschaftliche Moral

20. Mai 2019 von Tatjana Lackner, MBA

Killerphrasen und gesellschaftliche Moral

Die gesellschaftliche Moral beschreibt was wir sollen & müssen. persönliche Moral zimmert sich jeder selbst.

Unsere Moral:

Shifting Baselines in der Kommunikation

Auf der einen Seite gibt es so etwas, wie eine gesellschaftliche Moral, die sich sogar in der Gesetzgebung des jeweiligen Landes wiederfindet: Wie sollen wir leben? Was müssen wir befolgen? Und, wie tolerant mögen wir mit anders Denkenden umgehen? Heutzutage sind schließlich völlig andere Positionen ethisch UND gesetzlich geduldet als – vergleichsweise – noch vor wenigen Jahren.

Beispiel: Eine Mutter, die heute im geschlossenen Auto raucht macht sich an ihrem Kind strafbar. In meiner Kindheit war es völlig normal, dass auf langen Autofahrten nach Italien die Erwachsenen gequalmt haben – egal, ob mir davon schlecht wurde oder nicht. Diese Erwachsenen hielten sich deshalb nicht für moralisch verwerflich, sondern räumen heute ein: „Das war damals eben so.“

Jeder hat seinen persönlichen Werte-Atlas. Daneben verschieben sich auch die gesellschaftlichen Grenzen über die Jahre und verlangen uns einiges an moralischer Akrobatik ab. Denn manchmal ist es gar nicht so einfach sich klar zu positionieren. Jemand, der von der Natürlichkeit der Befruchtung überzeugt ist – bei Mensch und Tier – und auch für biologisch belassene Nahrungsmittel einsteht, der wird ein Problem haben gleichzeitig GEGEN genmanipulierten Mais zu stimmen und FÜR Eggfreezing oder In Vitro Fertilisation. Naturbelassenheit sieht eben anders aus. Toleranz wird überall gefordert. Gerade in Mitteleuropa zeigen sich jedoch schon seit einer Weile die Probleme, wenn wir der Intoleranz gegenüber tolerant sein wollen.

Die gesellschaftliche Moral beschreibt was wir sollen und müssen. Die Grundlage bilden die 10 Gebote, das allgemeine Gesetzbuch und die jeweiligen Social Codes eines Landstriches. – Obwohl nirgends steht, dass man im eigenen Heim nicht auf den Boden spucken darf, machen wir es bei uns eben nicht. Kant und sein kategorischer Imperativ haben uns hier ebenfalls geprägt. Immanuel Kant stellte ihn in „Grundlagen zur Metaphysik der Sitten“ 1785 vor. „Was, wenn das alle tun würden“ ist eine probate Frage in der Erziehung.

Die persönliche Moral hingegen zimmert sich jeder brav selbst. Schließlich wird jedes Kind in eine Welt geboren, die es zuerst für die „Norm“ hält. Auf dieser subjektiven Normalität findet dann die individuelle Wertedefinition statt. Wie man über Eltern, den Partner, Gott und die Welt denkt ist eben bei jedem ein bisschen anders. Die Welt im Innersten ist Privatsache, da reichen oft nicht einmal Beziehungspartner oder Therapeuten heran. Die persönliche Moral würde erst dann sichtbar werden, wenn gesellschaftlich alles erlaubt wäre. Waren wir in der Steinzeit schon moralisch? Haben Tiere eine Moral.

Ohnmacht greift um sich

Das Gefühl entsteht: „Ich komme langsam nicht mehr mit“

Gefährlich wird es dort, wo geänderte Gesetze und festgeschriebenen Sitten zu weit divergieren von persönlichen Moralvorstellungen. Wenn also die gesellschaftliche Moral lockerer wird, als die des Einzelnen, dann entsteht ein Communication Breakdown.

Noch ein Beispiel: wenn die österreichische Bundesregierung beschließt Cannabis freizugeben und wir persönlich Vorbehalte dagegen haben, dann stimmt die öffentliche Gesetzgebung unseres Landes nicht mit unseren individuellen Werten überein. Oder: wenn wir noch gelehrt bekamen uns in der Öffentlichkeit tadellos zu benehmen, dann stimmt das medial propagierte Verständnis für rüpelhaftes Benehmen von Fremden oder die gehypte Begeisterung für Talkshow-Brüskierer nicht überein mit unserer Vorstellung. Der selbstauferlegte Verhaltenskodex, nach dem wir sogar bei unsere Kinder erziehen ist strenger, als das öffentliche Ideal. Also knirscht es im Gebälk der tragenden Wertewände und gesellschaftliche Risse entstehen. Diese sind nicht allein durch Zurufe kittbar, wie: „So ist das heute eben“ oder Pseudo-Weiheiten, wie: „Du musst mit der Zeit gehen, sonst musst Du mit der Zeit gehen!“.

Es entsteht schlicht eine Wertedivergenz und wir sind zerknirscht, weil unser Selbstkonzept leidet. Schnell stellt sich das Gefühl ein von: „Ich komme langsam nicht mehr mit.“ Denn: Sobald persönliche Wertmaßstäbe strenger sind – also die an sich selbst und an Mitmenschen -, als jene, die in der Gesellschaft hochgehalten werden, dann schafft das Raum für radikale Kräfte. „Heutzutage ist sowieso alles erlaubt“ sind dann Überzeugungen von unzufriedenen Bürgern, die sich überrumpelt fühlen und im Stich gelassen mit der persönlichen Moralvorstellung.

Wenn wir uns hingegen selbst Dinge erlauben, die allgemein nicht gut geheißen werden oder gesetzlich sogar verboten sind, dann erst fühlen wir uns als Draufgänger, Abenteurer oder Rebell.

Trump bedient den Moral-Gap

Shifting Baseline Loop

Und genau hier kommt Donald Trump ins Spiel: Er holt mit seinen markigen Sprüchen die Menschen – darunter besonders die Wähler 50 Plus – genau dort ab, wo ihre moralischen Werte sozialisiert wurden: im Amerika der 60er und 70er Jahre. Damals war noch keine Rede von Schwulen die das Recht auf Ehe erheben und dabei auch noch Kinder adoptieren. Conchita Wurst wäre in einer Zeit in der noch Jason King im Fernsehen lief weder regional, geschweige denn, international zu einer Ikone für irgendjemanden geworden. Obama wäre damals noch nicht Präsident geworden.

Frauenrechte gab es freilich bereits, aber Mutterschaft nach 40, bezahlte Leihmütter oder Egg-Freezing wären definitiv noch kein Thema gewesen und das nicht nur der mangelnden technischen Möglichkeiten wegen.

Die Gesellschaft ist seither legerer geworden. Ihre Bürger jedoch nicht in gleichem Ausmaß. Das erzeugt Widerstand und Unbehagen und einen Shifting Baseline Loop: durch übertriebene Political Correctness und Sozialromantik werden verstärkt radikale Mächte herauf beschworen und als Antwort auf die Rechten werden die Linken dann noch vehementer. Die politische Mitte löst sich währenddessen langsam auf und verteilt sich weiter in linke und rechte Gruppen. Das führt zu einer Spaltung der Gesellschaft und zu gänzlich gegensätzlichen Positionen die keine Schnittpunkte mehr haben. Dazu kommt noch die innerfraktionelle Aufwiegelung der Standpunkte und Themen: Linke spintisieren untereinander noch schrägere Laissez-faire-Modelle und Rechte ganseln sich auf mit Verboten und kreieren neue Feindbildern in ihrer vereinfachten Law-and-Order-Welt. Die USA leben aktuell in einer Zeit in der die 60er, 70er, 80er 90er, 00er Jahre neben den heutigen Moralvorstellungen gleichermaßen präsent sind.

Neue Killerphrasen entstehen

Gesellschaftlich akzeptierte Mundtotmacher

Es ist unbefriedigend zu spüren, dass längst allgemein zum „guten Ton gehört“ was wir persönlich noch (zu Recht) verpönen. Nicht alles, was weltoffen klingt, muss auch tolerant sein. Neben den individuellen Killerphrasen, die wir von anderen „geschenkt“ bekommen, haben wir verstärkt auch mit gesellschaftlichen Mundtotmachern zu kämpfen, die auf unsere Werte zielen. Wie reagieren Sie auf Kommunikationssperren dieser Art – ohne der Rechtfertigung in die Falle zu laufen?

  • „Jetzt wirst Du alt. So verzopft kenne ich Dich ja gar nicht!“
  • „Bist Du in diesem Punkt nicht sehr weltfremd?“
  • „Diese Sichtweise hatte man vor 30 Jahren!“
  • „Von toleranter Weltanschauung haben Sie offenbar noch nie etwas gehört?“
  • „So eine Einstellung ist gefährlich und nicht zeitgemäß!“
  • „Hier ist die Gesellschaft offenbar lernfähiger, als Sie!“

Blog: Wir verteidigen täglich unser Selbstkonzept

Blog: Trolle füttern? Counter Speech 

DerStandard: Rezepte gegen „Killerphrasen“

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