Die letzten Jahre waren voll von politischen Spaltthemen: Flüchtlingsaufnahme – Vorteile & Gefahren?, Impfen – ja oder nein?, Mindesteinkommen – Sinn versus Unsinn? Ist es leichter ein emotional gespaltenes Volk zu regieren als ein ausgeglichenes?
Immer wieder werde ich gefragt: “Tatjana, wie kann ich mich beispielsweise bei Interviews aus der rhetorischen Umklammerung lösen?”
Gerne stelle ich hier mal drei wirksame und tausendfach erprobte Methoden aus dem Bereich der rhetorischen Diplomatie vor:
1) Die Schnittpunkte-Methode
Während sich Politiker immer wieder um emotionale Spaltung bemühen, suchen Redegewandte besser die thematischen Schnittpunkte. Die verbindende Frage “Was haben Baby Boomer und Generation X gemeinsam?” fördert zudem bestimmt andere Antworten zu Tage als die trennende Untersuchung: “Was unterscheidet Boomer von der Generation X?” Wer Verbindendes vor Trennendes stellt wirkt sympathischer und konsensualer.
In der Führung von Mitarbeitern, in der Mediation von Konflikten oder bei Verhandlungen geht es immer darum Schnittpunkte mit dem anderen finden zu können. Mitarbeiter A will … Mitarbeiter B hingegen möchte … – beiden geht es vor allem darum vom eigenen Chef gesehen und für seine Leistungen anerkannt zu werden. Gute Rhetoriker schaffen es diese Knotenpunkte gelungen zu moderieren und inhaltliche Kongruenzen klar herauszuarbeiten.
Beispiel aus dem Reisebüro:
“Ihr Mann möchte in die Berge und sie wollen im Urlaub schwimmen gehen, Frau Maier. Wie wäre es mit Urlaub am Gardasee? Sie sind beide in einem tollen Hotel untergebracht und genießen den See, während ihr Mann – in den direkt angrenzenden südlichen Kalkalpen Norditaliens – tolle Tagestouren erleben kann.”
2) Die Brillen-Methode
Durch die Gläser der anderen Partei sieht die Erlebniswelt im Gegensatz zu unserem Standpunkt oft grundverschieden aus. Brillen täuschen zudem nicht nur optisch. Die Brillen-Methode verwenden wir bewusst, um den “Gegner” zu signalisieren: Ich kann Deinen Blickwinkel verstehen.
Beispiel aus der Politik:
“Wenn ich mir die Brille eines Kohlearbeiters in der Lausitz aufsetze, dann verstehe ich gut, warum ein alleinverdienender Vater nicht “Hurra” schreit, bei den geplanten Ausstiegsplänen der Bundesregierung aus der Braunkohle.”
Nun setzen wir zur Perspektivenänderung an:
“Auf der anderen Seite macht es keinen Sinn die Augen zu verschließen vor den angekündigten Veränderungen. Lieber überlegt sich dieser Familienvater rechtzeitig, wie er umschulen kann bzw. welche Jobalternativen es für ihn noch gibt.”
3) Das Stimmungsbarometer
Wenn man rhetorisch unter Zugzwang gerät, dann hilft – besonders beim Schlenkerkurs – das Stimmungsbarometer. Sie sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert: “Pah! Das hat vor einer Woche aber noch ganz anders geklungen!”
Auf einer Skala von 1-10 bildet man das Stimmungsbarometer ab.
Beispiel aus dem Betriebsrat:
“Es stimmt, dass wir vor einem halben Jahr noch nicht sicher waren, ob die weiblichen Angestellten eine eigene Betriebsratsvertreterin aufstellen werden.” Damals hatten wir das Gefühl die Priorität lag bei 1-3. Der Sprung vom Bedarf zu Bedürfnis wurde allerdings stärker. Mittlerweile wächst der Zuspruch und gerade die Themen: Wiedereinstieg, Karenzvertretung und “Frauen in der Führung” haben auch in unserem Haus rasant an Bedeutung zugenommen. Heute liegt das Stimmungsbarometer bei 7. Sie erleben also keinen Schlenkerkurs, sondern ein Thema, das heute stärker im Fokus steht als in den Jahren zuvor.”
Dualitätskonflikte in der Rhetorik sollten wir vor allem anschaulich moderieren und uns darum bemühen, dass der Gesprächspartner erkennt, wo wir Schnittpunkte definieren und wo er Situationen anders beurteilt. Laufend ändern sich Bedeutungen. Was gestern noch Prio 1 war wandert in einer Woche möglicherweise an die letzte Position. Für manche wirken diese Änderungen beliebig und wenig transparent.
Tipp 1: Finde Schnittpunkte mit dem Gegenüber und äußere diese auch!
Tipp 2: Betrachte die Welt aus der Brille des anderen und beschreibe, was Du dadurch anders siehst!
Tipp 3: Prioritäten und Dringlichkeiten ändern sich – gib dem Gesprächspartner einen nachvollziehbaren Überblick! Auf der x-Achse läuft beispielsweise die Zeit und auf der y-Achse wird die Veränderungsenergie dokumentiert. Lass das Stimmungsbarometer sprechen!