Spitznamen formen Selbstbilder

11. Juni 2025 von Tatjana Lackner, MBA

„Sag mir, wie sie Dich in der Schulzeit nannten – und ich sage Dir, wer Du heute auf der Bühne bist.“ 

Was als kindlicher Kosename begann, kann im Erwachsenenleben wie ein Branding unter der Haut wirken. Spitznamen sind kleine semantische Zuschreibungen, manchmal süß wie Honig, manchmal brennend wie Alkohol in offenen Wunden. 

Ich bin Rhetoriktrainerin, also jemand, der tagtäglich mit Stimmen arbeitet – äußeren und inneren. Erfahrungsgemäß bleibt kein einziger Spitzname folgenlos. Schulkollege Harald beispielsweise wurde jahrelang „Lame Duck“ genannt und es ist wenig verwunderlich, dass er auch heute im Businessmeeting nicht die Zähne fletscht, sondern leise auf den Espresso wartet. 

Dabei geht es noch gar nicht um die kreative Namensgebung durch lustige Eltern. Wenn jemand Anna Nass, Bernhard Diener oder Rainer Zufall heißt, dann steht man wahrscheinlich ein Leben lang auf der Schaufel und gebraucht lieber einen Spitznamen. Eine ganze Generation von Kevins, Britneys & Chantals hat am eigenen Leibe erfahren, wie weh zudem „soziale Opfernamen“ tun können. Dazu kommt das „Namen Bullying“ durch in Verruf geratene Stars oder Kinohelden, die ähnlich heißen – auch das wirkt und würgt. 

Nach den Kinofilmen „Der Vorname“ und „Der Nachname“ hat „Der Spitzname“ mit Christoph Maria Herbst nicht nur den Komikpegel, sondern auch das emotionale Thermometer unserer Kindheit schamlos hochgedreht. Ein einziger Name – ein blöder, alberner, vielleicht sogar grausamer Spitzname – reicht aus, um Jahrzehnte später ein ganzes Abendessen eskalieren zu lassen. Warum? Weil Spitznamen wie Tattoos auf der Psyche sind: unauslöschlich, oft unfreiwillig und manchmal an den falschen Stellen gestochen. 

Wer in der Schule „Stotter-Stanley“, „Heulboje“ oder „Lexikon-Luise“ genannt wurde, betritt auch als Erwachsener keinen Meetingraum ohne Phantomschmerzen. Unsere Auftrittskompetenz hat mehr mit dem Pausenhof zu tun als mit Harvard Business Review. 

Beispiel A: 


Lena, heute brillante Juristin, hieß mit elf Jahren „Labertasche“. Ergebnis? Sie referiert im Gerichtssaal wie ein Uhrwerk, aber ihre Stimme zittert beim ersten Satz. Weil sie bis heute glaubt, zu viel zu reden. 

Beispiel B: 


Tom, heute Sales Director, wurde „Trommel-Tommi“ genannt, weil er nervös auf Tischen trommelte, statt frei zu sprechen. Heute klopft er nicht mehr – er schweigt. Präsentationen? Delegiert. 

Beispiel C: 


Eva, heute Coach, hieß „Evi Einfallslos“. Heute sammelt sie für ihre Seminare Wortspiele wie andere Weinflaschen – um der Welt zu beweisen: Ich habe was zu sagen. 

Warum das wichtig ist? 

Weil ein Spitzname aus der Kindheit oft wie ein Klebezettel auf unserem Selbstbild haftet. Und weil viele Erwachsene in Präsentationen nicht sie selbst sind – sondern eine Schutzfigur, gebaut aus Angst vor alten Wunden. 

Mein Coaching-Tipp: 

1. Reflektiere Deinen Spitznamen. 
Was war’s? Wer hat ihn Dir gegeben? Warum verletzt er Dich noch? 

2. Überschreibe ihn. 
Mach daraus ein Bühnenbild statt eines Gefängnisses. „Stotter-Stanley“? Heute ein Speaker, der Pausen setzt wie ein Dramaturg. 

3. Übe Selbstbehauptung mit Stimme. 
Sag heute laut, was Du damals geflüstert hast. Deine Stimme ist keine Schande, sondern ein Instrument. 

4. Sei nicht nett zu Deinem inneren Kritiker. 
Der sitzt immer noch in der letzten Reihe, mit einem Lineal in der Hand. Sag ihm, dass Du heute das Mikrofon hast. 

5. Wähle heute einen neuen! Einen, der zu Deiner Wirkung passt. Nicht den aus dem Business-Seminar. Sondern den, den Du gebraucht hättest, als Du elf warst. 

Fazit: Spitznamen formen Selbstbilder – und Selbstbilder formen Auftritte. Denn Rhetorik beginnt nicht auf der Bühne. Sondern in dem Moment, in dem Du Deinen eigenen Namen zurückeroberst. Niemand entkommt der Sprache, mit der man geliebt oder verspottet wurde. 

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